Linke
und Antisemitismus: Der Indymedia-Streit
Aufpassen, was im Kübel landet
QU: Wochenzeitung, 4. April 2002
Alex Schärer
Alles über unsere Strafanzeige gegen Indymedia Switzerland
hier
Gegen die Internet-Infodrehscheibe Indymedia Schweiz läuft ein
Verfahren wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz. Die vorangehenden
Auseinandersetzungen haben gezeigt, dass Antisemitismus auch in der
Linken virulent ist.
Die
Website von Indymedia Schweiz besteht im Moment nur aus einer einzigen
Seite. Indymedia Schweiz wurde vor zwei Jahren anlässlich des
World Economic Forum (Wef) in Davos durch AktivistInnen der Antiglobalisierungsbewegung
gegründet. Es ist Teil des weitverzweigten internationalen
Indymedia-Netzes, das in den letzten Jahren eine zentrale Rolle
bei den Mobilisierungen für die internationalen Demonstrationen
gegen die Globalisierung gespielt hat. Indymedia wurde zur wichtigen
Infodrehscheibe, auf der die AktivistInnen ihre Berichte und Demoaufrufe
schnell und anonym veröffentlichen können, man nennt dies
«open posting».
Anfang Dezember wurde auf Indymedia Schweiz ein Text mit dem Titel
«Palestinian Control of Mass Media» (vgl. Kasten) veröffentlicht,
der kurz darauf von mehreren Indymedia-BenützerInnen als antisemitisch
kritisiert wurde. Auch die BetreiberInnen der Website fanden den
Text antisemitisch, waren aber nicht bereit, ihn zu löschen.
Daraufhin hat sich die Gruppe Für einen progressiven Antikapitalismus
(Fepa) mit einer ausführlichen Kritik an Indymedia Schweiz
zu Wort gemeldet und nochmals die Löschung des Textes gefordert.
Anfang Februar erschien dann eine weitere Akteurin auf dem Parkett:
Die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH) zeigte Indymedia Schweiz,
respektive zwei ihrer AktivistInnen bei den Behörden wegen
Verstosses gegen das Antirassismusgesetz an. Die AKdH ist ein internationaler
Verein von Nachkommen von Menschen, die den Holocaust überlebt
haben. Sie spürt unter anderem rechtsextreme Websites auf und
meldet diese den Behörden.
Undurchschaubare
Psychodynamik
Einige der am Konflikt Beteiligten kennen sich persönlich. Man
hat teilweise jahrelang zusammengearbeitet, jetzt sind Freundschaften
in die Brüche gegangen. Die Psychodynamik der Eskalation ist
für Aussenstehende im Nachhinein nur schwer nachvollziehbar,
der sachliche Kern der Auseinandersetzung ist leichter zu fassen.
BetreiberInnen der Schweizer Indymedia haben sich dagegen gewehrt,
den auch von ihnen selbst als antisemitisch bezeichneten Text «Palestinian
Control of Mass Media» vollständig zu löschen. Man
verschob ihn stattdessen in den so genannten Zensurkübel (vgl.
Kasten). Einige AktivistInnen von Indymedia schrieben: «Zensur
ist ein Macht- und Unterdrückungsinstrument und hat für
uns nichts mit Freiheit zu tun, deshalb lehnen wir es ab. (...) Die
Frage ist, wie wir mit solchen Postings und damit, dass die Indymedia-AktivistInnen
über die Macht verfügen, Beiträge zu verstecken, umgehen,
ohne Plattform für diskriminierende Beiträge zu werden.
Dies ist für uns nicht ausdiskutiert, und es sind auch nicht
alle gleicher Meinung.»
Einer der beiden Indymedia-AktivistInnen, gegen die jetzt ein Verfahren
läuft, hält das Löschen von Texten auf Indymedia grundsätzlich
für Zensur. Er empfiehlt stattdessen die Diskussion, und eine
solche habe ja auch |
Eine
vertrackte Geschichte
Anfang
Dezember wurde auf der Website von Indymedia Schweiz ein Text namens
«Palestinian Control of Mass Media» veröffentlicht.
Darin wird der «grosse Einfluss der Palästinenser»
in den USA beklagt. Des Weiteren sei der Zweite Weltkrieg als «grosses
Andenken an die in jenem Krieg getöteten Palästinenser
neu erfunden» worden, man wolle glauben machen, «die
Palästinenser seien die grossen Opfer der Geschichte».
Am Schluss folgt die Leseanweisung, für «Palästinenser»
sei im Text «Juden» einzusetzen, um «die Realität»
zu sehen. Alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass dieser
Text antisemitisch sei.
Während einige Indymedia-BenützerInnen ultimativ forderten,
den Text zu löschen, wollte Indymedia dies nicht tun, sondern
verschob den mit einer Distanzierung versehenen Text schliesslich
nach weiteren Protesten in den so genannten Zensurkübel, wo
er weiterhin einsehbar und kommentierbar blieb. Einige Tage später
meldete sich die Gruppe Für einen progressiven Antikapitalismus
(Fepa) mit einer Stellungnahme, in der sie die völlige Entfernung
des Textes forderte. Obwohl Indymedia und Fepa Diskussionsbereitschaft
signalisierten, kam aber keine wirkliche Diskussion zustande.
Schliesslich reichte die Aktion Kinder des Holocaust (AKdH) Anfang
Februar Anzeige gegen Indymedia Schweiz wegen Verstosses gegen das
Antirassismusgesetz ein. Auf Indymedia erschienen in der Folge wechselseitige
anonyme Beschimpfungen. Ausserdem kam es zu Verleumdungen und massiven
Drohungen gegen Mitglieder von Fepa und AKdH.
Mitte Februar fuhren die Indymedia-Leute ihre Website vorläufig
herunter und riefen einmal mehr zur Diskussion auf. Die Teilnahme
an einem halböffentlichen Gespräch wurde den Fepa-Leuten
per Abstimmung der anderen Anwesenden dann allerdings verboten,
weil sie sich nicht wie gefordert von der Anzeige durch die AKdH
distanziert hatten. Auch an einer öffentlichen Veranstaltung
zu «open posting» vom 6. März waren die Fepa, aber
auch JournalistInnen unerwünscht. Eine weitere öffentliche
Veranstaltung zum selben Thema findet laut einem Indymedia-Aktivisten
am 27. April in Zürich statt.
|
stattgefunden. Zum Antirassismusgesetz sagt er: «Rassismus lässt
sich grundsätzlich nicht mit staatlichen Mitteln bekämpfen
oder zum Verschwinden bringen.» Er verweist auf die Toten, die
die staatliche Ausschaffungspraxis in der Schweiz bisher gefordert
hat. Ein solcher Staat sei nicht glaubwürdig, wenn er sich antirassistisch
gebe, erklärt er und fügt als weiteres Beispiel den staatlich
verordneten Antifaschismus in der DDR an. Dass dieser nichts gebracht
habe, sehe man jetzt in Deutschland.
Simone Wassmer von der Fepa vertritt die Position, dass eine nicht
moderierte Diskussion, die von einem antisemitischen Text ausgehe,
den Antisemitismus fördere: «Es ist sinnlos, antisemitische
Texte zur Aufklärung zu publizieren. Der Mass Media-Text
zum Beispiel stellt für Juden und Jüdinnen eine existenzielle
Drohung dar.» Der Text sei im Übrigen durch die Verschiebung
in den Zensurkübel aufgewertet worden, denn was im Zensurkübel
lande, werde dadurch besonders interessant. Nachdem die AKdH ihre
Anzeige eingereicht hatte, erklärte die Fepa, sie finde die Reaktion
der AKdH gerechtfertigt, habe aber selbst auf eine Anzeige verzichtet,
«weil der Staat eine solche nutzen könnte, um gegen linke
Zusammenhänge vorzugehen».
Wilde Herumkläfferei
AKdH-Sprecher Samuel Althof erklärt, die Anzeige gegen Indymedia
sei für die AKdH ein Nebenschauplatz, für sie sei der Kampf
gegen Rechtsextremismus zentral: «Das sieht man auch daran,
dass wir die Indymedia-Geschichte auf unserer Website nicht zentral
behandeln. Wir wehren uns gegen jegliche Form von Antisemitismus,
egal, ob er von links oder von rechts kommt.» Als zusätzlich
zum «Mass Media»-Text auch noch ein Cartoon des Zeichners
Latuff veröffentlicht wurde, entschloss sich die AKdH
zur Anzeige. Der Cartoon zeigt einen jüdischen Jungen mit Davidstern
im Warschauer Ghetto, der sagt: «Ich bin ein Palästinenser.»
«Wir haben die Anzeige gemacht in der Hoffnung, dass dann eine
Diskussion beginnt, stattdessen gabs eine wilde Herumkläfferei
und allerlei Verschwörungstheorien und Drohungen gegen die AKdH»,
erklärt Althof.
Ist der Staat tatsächlich die geeignete Instanz, um in dieser
Angelegenheit einzugreifen? Althof meint ja: «Als Ultima Ratio,
wie in diesem Fall, in welchem der Kritik kein Gehör geschenkt
wurde.» Er habe zum Beispiel in der Arbeit gegen den Rechtsextremismus
gute Erfahrungen gemacht mit den Behörden. Die Befürchtungen,
die Klage gebe der Polizei einen willkommenen Vorwand, gegen linke
Strukturen vorzugehen, hält er für «absurd».
Bei der AKdH sind massive Drohungen eingegangen, und im Zensurkübel
von Indymedia waren Sätze zu lesen wie: «Tötet die
Zionistenschweine!». Die AKdH hat die Politik der israelischen
Regierung gegen die PalästinenserInnen schon mehrfach hart kritisiert
und unterstützt aktiv Friedens- und Versöhnungsaktivitäten
in der Region. Althof verweist ausserdem darauf, dass er aus der israelischen
Armee desertiert sei.
Eine Gruppe von «FreundInnen von Indymedia» schreibt in
einer Stellungnahme von «Verrat». Zum Vorgehen der Fepa
heisst es: «Wir sehen darin eine gezielte Provokation zur inneren
Zerfleischung und Atomisierung der ausserparlamentarischen linken
Zusammenhänge.» Die Fepa und die AKdH machten zusammen
mit «dem Staatsschutz aus gestandenen AntifaschistInnen AntisemitInnen».
Versäumte
Debatte
Bea Schwager ist Vertreterin einer Gruppe von jüdischen und
nichtjüdischen Frauen, die 1994 in Zürich eine Veranstaltung
zum Thema Antisemitismus in der Linken organisiert haben. Ihre Solidarität
gilt jenen, «die von den FreundInnen von Indymedia
verleumdet und bedroht werden». Schwager findet es «den
an Antisemitismus anklingenden Verschwörungstheorien inhärent,
dass Indymedia-Leute sich nun als Opfer heraufstilisieren. Damit
wird einer wirklichen Auseinandersetzung über Antisemitismus
einmal mehr aus dem Weg gegangen.»
|
|