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Report 2. Nachgefragt: Waldorfschulen -




Report Mainz am 10. Juli 2000 im Ersten


Nachgefragt: Waldorfschulen - Ministerium nimmt Geschichtsbuch ins Visier

1. Sendung: Waldorfschulen - enttäuschte Eltern berichten
3. Sendung:
Waldorfschulen - Wie Kritiker mundtot gemacht werden sollen

Reaktionen zur Sendung:
Waldorf-Lehrbuch preist "Genie der arischen Rasse" Frakfurter Rundschau 13.Juli 2000
Waldorfbuch vor Indizierung TAZ 15. Juli 2000
Arisches Genie und die Waldorfschulen Süddeutsche Zeitung
DIE WALDORFSCHULEN SCHADEN DER ALTERNATIVPÄDAGOGIK TaZ, 19. Juli 2000
Waldorfschulen im Südwesten weisen Antisemitismus-Vorwürfe zurück DPA, 18.Juli 2000
Einschüchterung auf Waldorf-Art TaZ, 4. August 2000

 


Manchmal sind wir wirklich überrascht, was unsere Berichterstattung auslöst. Anfang des Jahres hatten wir über schlechte Erfahrungen einzelner Eltern von Waldorfschülern berichtet und damit offenkundig in ein Wespennest gestoßen. Eric Friedler und Barbara Siebert berichten.

B E R I C H T:

Rückblende: Im Februar präsentierte REPORT Mainz einzelne Fälle rassistischer und antisemitischer Vorkommnisse an Waldorfschulen. Die Reaktion war heftig. Der Bund der freien Waldorfschulen überzog uns mit einer Vielzahl von Gerichtsverfahren. Sämtliche Gegendarstellungsbegehren wurden abgewiesen, zwei Unterlassungsansprüche ebenfalls, ein Rechtsstreit läuft noch. Damit nicht genug. Im Internet wurde aufgerufen, gegen die Berichterstattung zu protestieren. Vor der Gedächtniskirche in Berlin wird Aktionismus nach außen demonstriert, anstatt sich gründlich mit den Vorkommnissen auseinander zu setzen. Wir haben daher weiter recherchiert. Rudolf Steiner: Seine Pädagogik bildet die Grundlage der Waldorfschulen. Die Schulen sind weitestgehend frei in der Gestaltung der Lehrpläne. Über viele Jahre entsteht das Image: angstfrei lernen, ohne Notendruck, auf der Basis von Toleranz und Freiheit.

Um so überraschter waren wir, als uns Eltern ehemaliger Waldorfschüler von Erfahrungen berichteten, die so gar nicht zum positiven Bild passen wollten. Mehr noch: Die Eltern wollten nur anonym aussagen, aus Angst vor Repressalien.

O-Ton, Mutter ehem. Waldorfschüler:

»Eine Schule, die rassistisch geprägt und weltanschaulich sehr einseitig auf Steiner ausgerichtet ist, also auf eine Führerfigur, die ich eigentlich so nie für meine Kinder hätte haben wollen.«
Steiner, eine Führerfigur? Unsere Recherchen führten uns auch in die Schweiz. Dort hatten wir Samuel Althof getroffen, Sprecher der Initiative „Aktion Kinder des Holocaust“. Erstmals stießen wir auf den Verdacht des Antisemitismus an einzelnen Waldorfschulen.

O-Ton Samuel Althof, Sprecher Aktion Kinder des Holocaust, Basel:

»Seit zirka zwei Jahren werden Geschichten uns zugetragen aus der Bundesrepublik Deutschland von antisemitischen Vorfällen an Waldorfschulen.«
Aber gerade das wollen die Anhänger der Waldorf-Bewegung nicht wahr haben, doch auch Waldorfschulen scheinen vor antisemitischen Tendenzen nicht gefeit. So verstehen zumindest wir diese ehemalige Waldorfschülerin. Sie ist Jüdin. Die REPORT-Sendung löste bei ihr bittere Erinnerungen aus. Vorurteile gegen jüdische Schüler, mit uns spricht sie offen darüber.

O-Ton, Ehem. Waldorfschülerin:

»An den Waldorfschulen wird die jüdische Religion als eine überwundene Kulturepoche betrachtet, die in ihrer Zeit wichtig gewesen sein mag, weil sie im Reifungsprozess der Menschheit einen bestimmten Charakterzug zum Ausdruck gebracht hat, die aber abgelöst worden ist von dem als wertvoller erachteten Christentum. An der Waldorfschule wurde mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich als Jüdin falsch bin, dass ich Eigenschaften vertrete, die eigentlich an dieser Schule nicht gewünscht sind.«
Ein bedauerliches Einzelschicksal? Wir fragen nach bei Joel Berger. Er ist Sprecher der deutschen Rabbinerkonferenz. Auch er wünscht sich, dass an Waldorfschulen das Judentum nicht als zurückgebliebene Kultur vermittelt wird. Auch er kann Beispiele nennen von jüdischen Schülern, die schlechte Erfahrungen machen mussten.

O-Ton Joel Berger, Rabbinerkonferenz Deutschland:

»Mir sind Fälle bekannt, in denen jüdische Kinder in einer Waldorfschule von einer Lehrperson negativ das Judentum benachteiligend, herabsetzend informiert wurden. Das kann ich bestätigen und die sind für mich äußerst negativ zu werten.«

Ein weiterer Aspekt: REPORT Mainz war auch Auslöser für das Treffen dieser Eltern ehemaliger Waldorfschüler aus ganz Deutschland. Alle erzählen von negativen Erfahrungen mit der Waldorfschule, erzählen von Diskriminierungen aufgrund von Herkunft oder Gesinnung. Nach der REPORT-Sendung schauen sie jetzt gemeinsam die Schulhefte ihrer Kinder durch. Immer wieder stoßen sie auf eigentümliche Passagen, immer wieder stoßen sie auf ein Wort: Atlantis, Atlantis Atlantis.

Nach Rudolf Steiner lag auf dem untergegangenen Kontinent Atlantis der Ursprung der arischen Rasse. Er beschreibt die Arier als die am höchsten entwickelte menschliche Rasse. In den Schulheften nehmen die Passagen über Arier und Atlantis viel Raum ein.

O-Ton, Inge Mittelstädt, Mutter ehem. Waldorfschülerin:

»Atlantis war also ganz klar ein Thema. Es gehörte zur sogenannten Uralten Geschichte und ich hab es also in den Heften in der Rudolf-Steiner-Schule in Düsseldorf gesehen. Ich hab sowohl auf Schloss Hamborn gesehen und auf Hebsisau auch genauso.«

O-Ton Sybille Jacob, Mutter ehem. Waldorfschüler:

»Und in einigen Heften sogar mit Angabe, mit Jahreszahlangabe vor so und soviel tausend Jahren gab es einen Erdteil, der hieß Atlantis.«

O-Ton Bernd Thomas, Vater ehem. Waldorfschüler:

»Also wir haben festgestellt, dass Atlantis im Geschichtsunterricht der sechsten oder fünften Klasse vorkam und dass eben nicht nur als Geschichte, sondern als wissenschaftliche Tatsache dargestellt wurde.«
In Karlsruhe treffen wir den Experten der evangelischen Kirche in Sachen Waldorf-Bewegung. Neu sind ihm im Zusammenhang mit Waldorfschulen Begriffe wie Atlantis und Arier nicht. Was verbirgt sich dahinter?

O-Ton Jan Badewien, Evang. Akademie Baden:

»Das bedeutet natürlich ganz eindeutig, dass die Arier und die arischen Zeichen als das jenige verstanden wird, was die Evolution weiterführt und das die geistige Evolution letzten Endes ausmacht. Und es bedeutet zugleich, dass alles andere sekundär ist, oder am Rande steht und keinen Platz hat.«
Stuttgart: Hier residiert der Bund der freien Waldorfschulen. Hier werden auch Waldorflehrer ausgebildet. Eine Besonderheit der Unterrichtsform: Die Lehrer tragen vor, die Schüler schreiben mit. In den ersten acht Klassen gibt es Bücher nur für Lehrer. Diese aktuelle Literaturliste, ausgearbeitet von der pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der freien Waldorfschulen, dient Klassenlehren zu Unterrichtsvorbereitung. Für Geschichte in Klasse fünf unter anderem das Buch „Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst“ von Ernst Uehli. Wir haben nachgelesen, und fanden folgende Zitate:

Zitate:


»Der heutige Neger ist kindlich, ist ein nachahmendes Wesen geblieben.
Der heutige aussterbende Indianer ist in seiner äußeren Erscheinung verknöchert, im Denken greisenhaft.«
(Uehli, S. 60)


»Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden.«
(Uehli, S. 126)
Auch Josef Kraus, Ausbilder von Lehrern an öffentlichen Schulen und Präsident des Deutschen Lehrerverbandes mit 160.000 Mitgliedern, sind die Zitate bekannt. Sein Fazit eindeutig.

O-Ton, Josef Kraus, Präsident Deutscher Lehrerverband:

»Ich habe hier vor mir liegen, ein Literaturverzeichnis für die Arbeit des Klassenlehrers an einer freien Waldorfschule. Da findet sich unter anderem für die fünften Klassen als Empfehlung dieses Buch „Atlantis“ letzte Auflage 1980, mit einschlägig rassistisch belasteten Vorstellungen. Würde ich als Ausbilder von Lehrern im staatlichen Schulbereich ein solches Buch empfehlen, für meine angehenden Lehrer zur Lektüre als Vorbereitung für den Beruf, würde ich zu Recht ein Disziplinarverfahren bekommen.«
Nach dem wir das Bundesfamilienministerium auf das Buch aufmerksam gemacht haben, erkennt man dort sofortigen Handlungsbedarf. Letzten Freitag fiel die Entscheidung, aktiv zu werden.

O-Ton Peter Haupt, Staatssekretär, Bundesfamilienministerium:

»Dieses Buch hat uns doch sehr erschreckt. es stammt ja von einem Schüler von Steiner, der die Philosophie für die Waldorfschulen entwickelt hat, und in diesem Buch gibt es Aussagen über eine Rassensystematisierung. Es wird von Negern gesprochen, die eben einfach nicht weiterentwicklungsfähig seien, und es werden andere Rassen dargestellt, die im Grunde Zerfallserscheinungen haben werden, und die seien auch schon erkennbar. Und insoweit erfüllen die Aussagen dieses Buches aus unserer Sicht zweifelsfrei einen Sachverhalt, der unter den Begriff, den weitesten Begriff der Rassendiskriminierung fällt. Wir haben deshalb heute einen Antrag gestellt, bei der uns unterstehenden Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die aus unserer Sicht dieses Buch verbieten muss.«

Seit über achtzig Jahren verleben viele Kinder eine schöne Schulzeit an Waldorfschulen. Antisemitismus und Rassendiskriminierung dürfen dort keinen Platz haben. Und im übrigen wird es höchste Zeit, dass auch an Waldorfschulen Atlantis endlich untergeht.

Abmoderation Bernhard Nellessen:

Wir sind gespannt, liebe Zuschauer, was dieser Beitrag wiederum an Reaktionen auslösen wird. Auf eines aber können Sie sich verlassen: Wir behalten das Thema im Blick. Einschüchtern lassen wir uns nicht. Guten Abend!


Waldorf-Lehrbuch preist "Genie der arischen Rasse"
QU: Frankfurter Rundschau, 13.07.2000

Rassismus

BONN, 12. Juli (afp). Das Bundesfamilienministerium hat das Verbot
eines Lehrbuchs der Waldorf-Schulen mit rassistischem Inhalt
beantragt. Dies bestätigte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften am Mittwoch. Das Buch für die Unterrichtsvorbereitung von
Waldorf-Lehrern im Fach Geschichte heißt "Atlantis und die Rätsel der
Eiszeitkunst". Es wurde von Ernst Uehli, einem Schüler des
Waldorf-Begründers Rudolf Steiner, 1936 verfasst und 1980 neu
aufgelegt.

Darin heißt es: "Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in
ihre atlantische Wiege gelegt". Dagegen sei der "heutige Neger" ein
"nachahmendes Wesen geblieben"; während der "aussterbende Indianer" im
Denken "greisenhaft" sei. Der Staatssekretär im Familienministerium,
Peter Haupt, sagte dem ARD-Magazin "Report", das Buch erfülle
"zweifelsfrei einen Sachverhalt, der unter den Begriff der
Rassendiskriminierung fällt".



Waldorfbuch vor Indizierung
QU: taz Nr. 6193 vom 15.7.2000

Die Bundesprüfstelle will einem Antrag des Familienministeriums folgen und ein Lehrbuch der Waldorfschule verbieten lassen. Es stammt aus dem Jahr 1936 und verherrlicht den Rassismus
von CHRISTIAN FÜLLER

Der Bund der Waldorfschulen ist nur noch einen Fußbreit vom pädadogischen Desaster entfernt. Eines der Lehrbücher der größten Alternativschulbewegung in Deutschland (Leitmotiv: Erziehung zur Freiheit) soll Anfang August auf den Index jugendgefährdender Schriften gesetzt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Bundesprüfstelle das Werk "Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst" von Ernst Uehli wegen rassistischer Inhalte listen - es darf dann nicht mehr an Kinder und Jugendliche verkauft werden. Vertreter der Waldorfbewegung bestritten, dass das Buch in den 180 deutschen Waldorfschulen benutzt werde.

Nach Informationen der taz bestehen kaum Zweifel, dass Uehlis Werk auf den Index kommt. Das Buch des Mitarbeiters von Rudolf Steiner, dem Verfasser der den Waldorfschulen zugrunde liegende Anthroposophie, durchläuft in Bonn nur ein kleines Begutachtungsverfahren. Denn, so war aus der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu erfahren, bei Uehli sprängen die einschlägigen Stellen, "dem Leser sofort ins Auge". Die Waldorfbewegung hat bis zum 3. August Zeit, zur Sache Stellung zu nehmen.

Das TV-Magazin "Report" aus Mainz machte den Fall öffentlich. Die Reporter fanden heraus, dass sich die so genannte Atlantissage ebenso wie der Nazi-Terminus "Arier" in Schulheften von Waldorfschülern findet. Auch Uehlis Schrift befasst sich mit der vermeintlichen Hochkultur "Atlantis". Für Nationalsozialisten wie den heutigen neurechten Germanenkult ist die Gegenüberstellung von arischen Herrenmenschen und Untermenschen wichtiger ideologischer Baustein. "Der Keim zum Genie", schrieb Ernst Uehli 1936 im gleichen Duktus, "ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden."

Laut Report erscheint Uehlis Atlantis auf den aktuellen "Literaturangaben für die Arbeit des Klassenlehrers" (1998) - für die Vorbereitung des Geschichtsunterrichts der fünften Klasse. Die Waldorfzentrale entgegnete, Uehlis Buch befinde sich nicht in ihrer Bibliothek. Auch der Leiter des Berliner Seminars für Waldorfpädagogik, Lothar Steinmann, sagte, das Buch wird "natürlich nicht zur Ausbildung benutzt". Im Unterricht komme die Atlantissage zwar vor. Aber, so Steinmann, "wir erzählen das wie Grimms Märchen".

Die vor kurzem neu herausgekommenen Lehrpläne für Geschichte/Sozialkunde an Waldorfschulen enthalten Mythen über die Entstehung der Menschheit - die Sage von Atlantis ist nicht explizit erwähnt. Das sind freilich nur Empfehlungen. In Waldorfschulen haben die Pädagogen weder detaillierte Lehrpläne, noch gibt es Lehrbücher für den Unterricht. Diese in der Reformpädagogik als Vorteil angesehene Freiheit der Lehrer erhöht nun aber gerade das Misstrauen gegen Waldorfschulen.

Der Sprecher der Berlin-Brandenburgischen Waldorfschulen, Detlef Hardorp, kann nämlich nicht ausschließen, "dass ein einsamer Waldorflehrer" Uehlis Buch doch benutze. Die Pädagogen seien zwar gehalten, das Kapitel Sagen und Mythen im Unterricht kritisch zu reflektieren. Ob dabei auch Uehli herangezogen werde, sei nicht vollständig kontrollierbar. Die taz hat bei einem Rundruf in Berliner Waldorfschulen einen solchen Fall ausfindig gemacht.

Hardorp sagte, Uehlis Buch sei ein "mieses Werk". Es sei 1936 geschrieben, zu einer Zeit also, als Steiner-Anhänger sich bemühten, das Verbot der Anthroposophie durch die Nazis abzuwenden. Heute habe das Buch im Unterricht nichts verloren. Denn, so Hardorp, "wenn Waldorfschulen sich in der Gesellschaft behaupten wollen, müssen sie guten Unterricht machen". TAZ-Bericht CHRISTIAN FÜLLER

zitate:

Atlantis und die Arier
"Der Neger ist kindlich, ist ein nachahmendes Wesen geblieben." - "Der (...) Indianer ist in seiner äußeren Erscheinung verknöchert. Im Denken greisenhaft." Ernst Uehli, "Atlantis", Stuttgart 1936; Nachdruck: Stuttgart 1980

"Dieses Buch hat uns sehr erschreckt. Es stammt von einem Schüler von Steiner, der die Philosophie für die Waldorfschulen entwickelt hat, und [enthält] Aussagen über eine Rassensystematisierung. (...) Wir haben daher einen Antrag bei der uns unterstehenden Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften gestellt, die aus unserer Sicht das Buch verbieten muss." Peter Haupt, Staatssekretär im Familienministerium



Arisches Genie und die Waldorfschulen
QU: Süddeutsche Zeitung vom 15.07.2000 Politik
Dachverband empfiehlt seinen Lehrern ein Buch zur Vorbereitung des Unterrichts, das jetzt verboten werden soll

Genie und Wahnsinn sind oft Brüder. Dies hatte schon Aristoteles geschwant und nach ihm Seneca. Aber was ist, wenn Genie fehlt und Wahnsinn bleibt? Auf diese Frage blieben der Grieche und der Römer leider eine Antwort schuldig. Vielleicht deshalb, weil sie das Werk des Autors Ernst Uehli über „Atlantis und das Rätsel der Eiszeitkunst“ nicht gekannt haben. Darin heißt es: „Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden.“ Wahnsinn, völkischer, ohne jedes Genie. Auch sonst enthält Uehlis „Versuch einer Mysteriengeschichte der Urzeit Europas“ viel platten Wahnsinn.

Weshalb zum Beispiel sind schwarze Menschen schwarz und Indianer rot? Der Schüler von Waldorf-Begründer Rudolf Steiner schildert, den Urvater der Anthroposophie referierend, den Zug von Menschen „unter Leitung des Merkur-Orakels nach Afrika“. Dort passierte es: „Das zu schwache Ich-Gefühl bewirkte, dass sie der Sonnenwirkung zu stark ausgesetzt waren und sich daher zu viel kohlenartige Bestandteile unter der Haut ablagerten.“ Trost für uns Angehörige der „Jupiterrasse“: „Der Europäer behält, auch in Afrika geboren, die weiße Farbe, aber nicht nur aus Vererbung, sondern aus seiner Ich-Anlage.“ Anders erging es, laut Uehli/Steiner, in frühester Zeit Menschen, deren Ich-Gefühl so stark entwickelt war, dass es sie „unter der Leitung des Saturn-Orakels“ in den amerikanischen Westen verschlug, wo sie Indianer wurden. So sei die „rote Rasse“ entstanden: „Die Pigmentierung der Haut ist das physiologische Merkmal dieser Diskrepanz von zu starkem, nach außen drängendem Ich-Gefühl und unterliegendem Organismus.“ Woraus eine äußerst ungünstige Prognose folgt: Die Indianer nämlich seien unter den „kosmischen Einfluss des Saturn“ geraten, und dieser habe „verhärtend auf das Drüsensystem“ eingewirkt, weshalb die „Saturnrasse . . . allmählich an Vergreisung zu Grunde“ gehe.

Man kann „Atlantis“ als besonders albern abtun, man kann den Text freilich auch ernst nehmen. Letzteres hat das Bundesfamilienministerium getan und bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ein Verbot beantragt. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil das Buch vom „Bund der Freien Waldorfschulen“ in Stuttgart auf eine Literaturliste gesetzt wurde, deren Titel 6000 Lehrern an 172 Waldorfschulen zur Vorbereitung des Unterrichts empfohlen werden. Staatssekretär Peter Haupt sagte der ARD, bestimmte Passagen des Buches erfüllten „zweifelsfrei einen Sachverhalt, der unter den Begriff der Rassendiskriminierung fällt“. Die Mysteriengeschichte von Ernst Uehli, der noch eine Menge anderer Schriften im Geiste Steiners verfasst hat, erschien 1936; die hier verwendeten Zitate stammen aus der Erstausgabe. 1980 wurde das Werk wieder aufgelegt. Bund-Geschäftsführer Walter Hiller findet die öffentliche Kritik zwar überzogen, peinlich ist die Sache auch ihm. Manche Sätze seien „einfach Unfug“. Überdies enthalte Uehlis Buch neben „inakzeptablen Bemerkungen eine problematisch verkürzte und vereinfachte Darstellung aus dem Werk Steiners und ist hinsichtlich der Ausführungen zur eiszeitlichen Kunst mittlerweile überholt“. Der Waldorfschulen-Bund reagierte bereits: „Atlantis“ wird von der Bücherliste gestrichen.

Wulf Reimer


Waldorfschulen im Südwesten weisen Antisemitismus-Vorwürfe zurück
QU: DPA, 19. Juli 2000
Stuttgart (dpa) Die Waldorfschulen in Baden-Württemberg haben Antisemitismus - und Rassismus-Vorwürfe vehement zurückgewiesen. Die Landesarbeitsgemeinschaft der 45 Schulen im Südwesten erklärte am Dienstag in Stuttgart, solche Tendenzen widersprächen ihrem Anliegen diametral. In zwei Sendungen des Fernsehmagazins "Report" aus Mainz waren die Waldorfschulen bezichtigt worden im Unterricht Rassismus und Antisemitismus Vorschub zu leisten. Die Waldorf-Schulen nahmen inzwischen ein Buch, das zur Unterrichtsvorbereitung im Fach Geschichte empfohlen worden war, aus der Liste für Lehrer heraus.
Ein Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft, Bruno Sandkühle, räumte ein, das Werk " Atlantis und das Rätsel der Eiszeitkunst" von Ernst Uehli gehöre nicht auf eine Lehrerliste. In dem 1936 erschienen und 1980 wieder aufgelegten Buch finden sich nach Angaben des Südwestfunks (SWR) Passagen wie: " Der heutige aussterbende Indianer ist in seiner äusseren Erscheinung verknöchert, im Denken greisenhaft" und " Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereitet in ihre atlantische Wiege gelegt."
Sandkühler betonte, der Empfehlungshinweis sei nur als "unverbindliche Möglichkeit" gedacht gewesen. In der Unterrichtspraxis habe das Buch ohnehin keine Rolle gespielt. Ziel der Waldorfschulen sei es, den Schülern die Achtung aller Menschen unabhängig von Hautfarbe , Religion, sozialer oder ethnischer Herkunft zu vermitteln. Falls es rassistische oder antisemitische Äusserungen gegeben habe, könne es sich nur um Einzelfälle handeln.
Dagegen sagte der Mainzer "Report" Redaktionsleiter Fritz Frey: "Wenn der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, Landesrabbiner Joel Berger sowie die Vertreterin der neuen Länder im Zentralrat, Irina Knochenhauer, von antisemitischen Vorfällen an Waldorfschulen unter anderem in Baden-Württemberg und Brandenburg berichten, dann kann es sich nicht um Einzelfälle handeln."
Sandkühle beschuldigte den SWR, Zitate vermeintlicher Kritiker aus dem Zusammenhang gerissen zu haben. Dies bestritt der SWR vehement. Frey betonte, ihm liege keine einzige Beschwerde über verkürzte Darstellung vor. Der Bund der Freien Waldorfschulen sei mit einer Gegendarstellungsklage gescheitert. Bei einer Klage auf Unterlassung habe er nur in einem Punkt von drei Punkten Erfolg gehabt. Der Sender gehe in dieser Sache in die nächste Instanz.
Die Pädagogik der Waldorfschulen basiert auf der anthroposophischen Menschenkunde Rudolf Steiners (1861-1925)


Einschüchterung auf Waldorf-Art
QU: TaZ 4. August 2000
von ARNO FRANK

Wer einen Stein ins Wasser wirft, darf erwarten, dass er zumindest Kreise zieht. In den Sendungen vom 28. Februar und 10. Juli 2000 warf das Politmagazin "Report" aus Mainz (ARD) gleich zwei Steine - eine Protestflut und eine Klagewelle waren die Folge.

Um weitestgehend antisemitische Vorfälle an Waldorfschulen ging es in der ersten, um Rassismus im Buch "Atlantis und das Rätsel der Eiszeitkunst" in der zweiten Sendung - das Bändchen, vom ersten Waldorf-Lehrer Ernst Uehli verfasst, stand auf einer Literaturliste, die Waldorflehrern zur Vorbereitung auf den Geschichtsunterricht zur Verfügung gestellt wird - inzwischen haben sich die Waldorfschulen von dem Buch distanziert, nachdem das Bundesfamilienministerium einen Antrag auf Indizierung gestellt hat. In dem Buch fand sich neben rassistischem ("Der heutige Neger ist kindlich, ist ein nachahmendes Wesen geblieben") auch esoterischer Schwurbel ("Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden"). Die "Report"-Sendung endete mit der ungewöhnlichen Bemerkung: "Einschüchtern lassen wir uns nicht."

"Jüdische Propaganda"

Welcher Natur diese "Einschüchterungen" waren, erzählt Fritz Frey, Redaktionsleiter bei "Report": "Der Bund der Freien Waldorfschulen überzog uns nach einer früheren Sendung im Februar mit einer Vielzahl von Gerichtsverfahren, Gegendarstellungsbegehren und Unterlassungsansprüchen. Sie nutzen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen, so etwa hunderte von Faxen und Briefen an die Redaktion."

Nun sind Klagen und Protestnoten legitime Mittel, sich zur Wehr zu setzen - der Inhalt vieler dieser Briefe ist es nicht, wie Eric Friedler berichtet. Dem Redakteur der umstrittenen Sendung wurde schriftlich bzw. telefonisch bescheinigt, er sei der "reinkarnierte Antichrist", er gehöre "hinter Gitter". Selbst freundlichere Belehrungen lesen sich gruselig: "Wenn Sie dem Steinerschen Gedanken der wiederholten Erdenleben folgen wollen, dann sind die Seelen der Atlanter noch unter uns", heißt es da, und: "Zu den Negern: Nennen Sie mir einen einzigen, der eine Universität gegründet hat." Die Mutter einer Schülerin überraschte mit fataler Logik: "Wir sind keine Rassisten, das ist alles jüdische Propaganda!" Abgesehen von der Qualität vieler Reaktionen überraschte auch die Quantität. Frey wittert hinter den stereotypen und bis in die Wortwahl identischen Reaktionen eine konzertierte Aktion: "Es gibt Indizien dafür, dass es an den Schulen Aufrufe gegeben hat, sich bei uns zu beschweren."

Tatsächlich wird auf der Homepage des Bundes freier Waldorfschulen (www.waldorf-schule.de) nicht nur zum Protest aufgerufen, sondern auch die Niederlage in der juristischen Auseinandersetzung mit der "Report"-Anstalt SWR als Sieg verkauft. Gegendarstellungs- und Unterlassungsbegehren wurden vom Landgericht Frankfurt und vom Oberlandesgericht Stuttgart allesamt zurückgewiesen. Einzig die Behauptung, jüdische Eltern nähmen "vermehrt" ihre Kinder von der Schule, darf laut einstweiliger Verfügung nicht wiederholt werden - der SWR hat Berufung eingelegt.

Für einen kostspieligen Rechtstreit mag der SWR gewappnet sein. Nicht aber frei recherchierende Journalisten wie etwa die Österreicherin Angelika Walser, die in der christlich-konservativen Wochenzeitung Die Furche einen kritischen Artikel veröffentlicht hatte: "Fünf Nummern lang gab es einen Proteststurm, wie ihn die Furche noch nicht erlebt hat. Mir wurde mit Prozessen gedroht und unterstellt, ich hätte heftig gefälscht." Die Affäre wurde dann, wie es in Österreich so schön heißt, "amikal gelöst": Ein an der Grazer Waldorfschule engagierter Hofrat setzte sich, wie Walser berichtet, mit ihren Chefs ins Benehmen. Die Journalistin gab das Thema notgedrungen ab: "Wenn Sie da recherchieren, da brauchen Sie einen breiten Buckel."

Einen breiten Buckel bewies auch der österreichische Fernsehjournalist und Regisseur Petrus van der Let. In einer fünfteiligen Reihe zu den Wurzeln des Nationalsozialismus ging er in der Folge "Erlöser" auch auf die Rolle von Rudolf Steiner und das esoterisch-okkulte Heilsversprechen der Anthroposophie ein. Wurde in einer anschließenden Live-Diskussion noch "lebhaft und kontrovers" über das Thema gestritten, hagelte es bald die üblichen offiziösen Briefe an van der Lets Arbeitgeber. Ein Vorstandsmitglied der Dachvereinigung der Waldorfschule, Raoul Kneucker, hatte den Film während der Diskussion noch als "gelungene postmoderne Collage" bezeichnet - vier Wochen danach, im Dezember 1996, aber erhob er beim Generalsekretär des Europarates "Einspruch gegen die Förderung des Filmprojektes", und zwar wegen "gröblicher Verletzung der Objektivitätsgrundsätze".

"Privater Geheimdienst"

Ähnliches erlebte auch der Psychologe und Publizist Colin Goldner. Eine konzertierte Protestbrief-Aktion, anwaltliche Drohschreiben, einstweilige Verfügungen, Beschimpfungen und Diffamierungen musste er über sich ergehen lassen, weil er in einem Spiegel-Artikel auf die rassistischen Passagen in Rudolf Steiners Werk hingewiesen hatte. Um Goldner als unseriös zu diskreditieren, wurden "Texte herangezogen, die ich vor über 20 Jahren geschrieben habe". Was für Goldner den Schluss nahe legt, dass in Kreisen der Anthroposophen offenkundig "Dossiers über unliebsame Journalisten" geführt werden: "Die Anthroposophen sind sehr gut vernetzt und verfügen ganz offenbar über eine Art privaten Geheimdienst zu Beobachtung von Kritikern. Gerade dieser Umgang mit Andersdenkenden setzt die Anthroposophie in Parallele zu totalitären Kulten."

Arnold Seul, heute in der Fernsehredaktion des MDR tätig, hatte für das Magazin "Fakt" (vom 9. 9. 1996: "Mythos Waldorfpädagogik") über "ungewöhnliche Disziplinierungsmaßnahmen" an einer Waldorfschule recherchiert. "Schon vor der Ausstrahlung", erzählt er, "waren Gremien wie etwa der Rundfunkrat involviert, es gab Briefe an Fernsehdirektoren vom Westdeutschen bis zum Saarländischen Rundfunk. Die Dreharbeiten habe ich fortgesetzt, aber keinen O-Ton mehr von Anthroposophen bekommen. Stattdessen dutzende von Briefen und Beschimpfungen."

Auf einem Vortrag, der die Wogen glätten sollte, sah er sich mit einem "Tribunal von dreißig bis vierzig Leuten konfrontiert", die alle auf ihn einredeten. "Ich mache keinen Schweinejournalismus", hatte Seul den aufgebrachten Anthroposophen versichert - nur um diesen Satz später als Geständnis in Rundbriefen an Eltern wieder zu finden: Gestrichen war das Wörtchen "keinen", der "Schweinejournalismus" blieb.

"So was erlebt man normalerweise nur, wenn man sich mit Scientology anlegt", sagt Seul - und hat doch zwei Erklärungen für die bemerkenswerte Dünnhäutigkeit der Anthroposophen parat. Zum einen sähe der Bund freier Waldorfschulen handfeste finanzielle Interessen gefährdet: "Nach der Wende in der DDR sind sie schnurstracks reinmarschiert, als freie Träger für Schulen mit offenen Armen empfangen wurden. Man muss nur mal hochrechnen, welche Gelder dort hineinfließen." Zur Sorge um Zuschüsse, Subventionen oder Neu-Anmeldungen aber geselle sich ein "Verfolgungswahn wie bei sektierischen Vereinigungen". Seul: "Sie sind teilweise zu weltfremd, um zu wissen, wie auf Kritik zeitgemäß zu reagieren ist. Sie haben keinerlei Erfahrung mit der Medienkultur."

Der Anthroposoph Stefan Leber dagegen hat sowohl Erfahrung als auch ein sehr plastisches Bild von der Arbeit eines Journalisten: Sie erinnern ihn an "Hunde, schnüffelnd von Duftmarke zu Duftmarke und jeweils ihre eigene hinterlassend. Sie folgen einer Spur, sie riechen Urin und Kot; Rosenduft und Veilchen interessieren sie nicht. Es besteht da ein inniger Zusammenhang zwischen dem Erschnüffeln und der eigenen Ausscheidung", so Leber, nachzulesen in den Flensburger Heften (63/IV/98) - der Mann ist Vorstandsmitglied im Bund Freier Waldorfschulen und Dozent für Waldorfpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart.

waldorf-geschäftsführer walter hiller über . . .
. . . den Umgang mit unliebsamen Kritikern
Walter Hiller ist Geschäftsführer vom Bund der Freien Waldorfschulen

taz: Herr Hiller, stimmt es, dass die Anthroposophen Dossiers über unliebsame Kritiker führen?

Walter Hiller: Davon ist mir nichts bekannt. Dossiers sind überflüssig. Wir kennen die einschlägigen Kritiker und wissen, aus welchem Lager die Vorwürfe kommen.

Auf Ihrer Homepage rufen Sie zu einer Protestkampagne gegen "Report" auf . . .

Diese Aktion geht auf einen Schüler zurück. Er hat angefragt, ob er das auf unsere Homepage stellen darf, und wir haben zugestimmt. Es geht darum, den Schülern ein Forum zu bieten.

Wie reagieren Sie auf die Anfeindungen, denen sich zahlreiche Journalisten seitens der Anthroposophen ausgesetzt sehen?

Es gibt weniger Journalisten, die unter uns leiden, als Mitglieder unserer Schulgemeinschaften, die unter Journalisten leiden. Das ist keine Entschuldigung für Exzesse oder verbale Injurien. Diese Art von Meinungsbildung bekommen ganz real die Schüler zu spüren, wenn sie etwa in Geschäften Plakete für Veranstaltungen aufhängen wollen und plötzlich mit solchen Fragen konfrontiert werden.

Ist es nicht Ihre Angelegenheit, solche Fragen intern zu klären?

Wir haben alle Schulen befragt: "Wenn es Anschuldigungen wegen Rassismus oder Antisemitismus gibt, sagt es uns bitte, nennt uns die Fälle." Oft werden uns eidesstattliche Erklärungen vorgelegt, nach denen nichts dergleichen stattgefunden hat.




© Aktion Kinder des Holocaust